Zum besseren Verständnis:
Hallo liebe Forumsgemeinde!
Es ist doch immer wieder interessant, zu lesen, wie hartnäckig sich Behauptungen im öffentlichen Bewusstsein halten, die bei genauerem Hinsehen eigentlich völlig haltlos sind.
ZITAT:
Probleme haben wir bis jetzt null damit. Er kann gut Pipi machen, hat keine Schmerzen. Hin und wieder ist die Vorhaut vorne mal rot aber das denke ich könnte auch bei normaler Vorhaut passieren.
Damit ist eigentlich alles gesagt. Bei diesem Jungen liegt also ganz offensichtlich eine symptomfreie kindliche Phimose vor ein völlig normaler, natürlicher Entwicklungszustand also, der dem Zweck dient, die Eichel zu schützen und sie feucht und sensibel zu halten wozu, das muss ich hier sicher nicht erklären.
Ein entwicklungsphysiologisch völlig normaler Zustand ist ganz bestimmt keine Krankheit, mithin ist die Beschneidung bei diesem Jungen keine Heilbehandlung, sondern ein medizinisch nicht indizierter Eingriff.
Quelle:
http://www.holm-putzke.de/images/stories/pdf/2008\_mschr\_kinderheilkunde\_zirkumzision.pdf
(Die Verfasser sind Professoren und praktizierende Ärzte am Dr. v. Haunerschen Kinderspital München und ihres Zeichens Oberarzt, Kinderurologe sowie ein Professor für Strafrecht der Uni Passau)
ZITAT:
Aber die Vorhaut echt seeehr eng
Richtig das hat eine Phimose so an sich. Die Klassifizierung nicht so eng, eng, sehr eng ist allerdings hanebüchener Unsinn eine Phimose ist dann behandlungsbedürftig, wenn sie a) entweder von Schmerzen begleitet wird oder b) eine nachhaltige Behinderung des Urinabflusses nach sich zieht.
Behandlungsbedürftig heißt dabei nicht beschneidungsbedürftig, denn bevor man überhaupt über einen solch gravierenden Eingriff nachdenkt, stehen andere, schonendere nichtoperative oder operative Behandlungsmethoden zur Verfügung, die alle eines gemeinsam haben: Sie erhalten Penis und Vorhaut in ihrer natürlichen Gesamtheit, in ihren natürlichen Funktionen und im äußeren Aussehen. (und DAMIT, nicht etwa durch Beschneidung, bewahrt man übrigens den Jungen vor Situationen, in denen er sich schämen könnte).
BESCHNEIDUNGSbedürftig ist eine Phimose dann, wenn etwa eine andere Erkrankung vorliegt, die erwarten lässt, dass es erneut zu einer Verengung kommen wird, wenn nicht operiert wird. Dies ist der Fall z. B. bei Diabetes, weil diese mit entsprechenden Hautveränderungen einhergeht, oder bei der seltenen Hautkrankheit Lichen sclerosus (LS).
ZITAT:
und irgendwann muss sie ja mal über die Eichel kommen.
Richtig! Und wann?
DANN, wenn der Junge irgendwann in der Pubertät beginnt, sexuell aktiv zu werden, wozu natürlich auch die Masturbation gehört. Eine Phimose sollte also und zwar so schonend und gewebeerhaltend wie möglich irgendwann vor Einsetzen der Pubertät behandelt werden, nach Möglichkeit natürlich mit Zustimmung des betroffenen Jungen und Absprache hinsichtlich Behandlungsmethode und Zeitpunkt. Es geht hier nämlich um nichts mehr und nichts weniger als die körperliche Unversehrtheit eines Kindes und die ist nicht nur eine locker daher gesprochene Floskel, sondern ein Grundrecht (Artikel 2 Absatz 2 GG).
Vergessen Sie bitte alle völlig willkürlichen Altersgrenzen (2, 4, 5 Jahre, Schuleintritt, 8 Jahre sind die geläufigsten). Aus dem Erreichen einer vom Menschen willkürlich festgelegten Altersgrenze ergibt sich noch lange keine medizinische Notwendigkeit für eine Operation. Wer mal in Ruhe drüber nachdenkt, sollte den Unsinn solcher Grenzen eigentlich von selbst bemerken. Jedes Kind entwickelt sich ganz individuell.
ZITAT:
Im Bekanntenkreis haben einige mir geraten, nicht zu lange zu warten am besten noch vor der Schule die OP zu machen. Weil die Jungs ja irgendwann ein Schamgefühl entwickeln und sie sich dann schämen ect.
FRAGE:
In welchem Unterrichtsfach benötigt ein Junge eine zurückstreifbare Vorhaut?
Oder anders gefragt: Worauf gründet sich dieser Zeitpunkt?
Weil sich die Jungs später schämen könnten?
Ein beschnittener Junge, der vielleicht der Einzige dieser Spezies in der Klasse ist, schämt sich noch viel mehr und dauerhaft! Die ihm aufgezwungene Veränderung ist nämlich bleibend; die Tatsache, dass er wegen einer intimen OP ins KH muss, vergessen die Kinder irgendwann. Nun komme mir niemand mit dem Einwurf, dann sollte man alle beschneiden (solche Argumente gibt es tatsächlich). Wer mehr über die abstrusen Gedankengänge Erwachsener und sogar med. Personals wissen möchte, lese den Roman Der Schnitt vom Lukas Stoermer. Er handelt u. a. von dieser Art Scham.
Nun zu den Behandlungsmethoden:
Wie gesagt, bei dem Jungen HIER sehe ich gar keinen Behandlungsbedarf, aber ich bin kein Arzt und erwähne die Behandlungsmethoden hier deshalb aus rein informativen Gründen:
Nichtoperativ:
Salben auf (Hydro-)Kortisonbasis (z. B. Betamethason), Östrogenbasis (z. B. Ovestin), Diclofenac oder (nicht verschreibungspflichtig) Dexpanthenol (Bepanthen).
Erfolgsquote: ca. 80 % und mehr. Da drängt sich die Frage auf, woher der behandelnde Arzt durch blosses Draufschauen wissen will, dass hier eine Salbenbehandlung nicht möglich ist. Den Versuch ist es, im Interesse des Kindes, doch wert, oder?
Quelle:
Balster, Saskia: Topische Therapie, Phimosebehandlung mit betamethasonhaltiger Salbe in: Med-Review, Zeitschrift für ärztliche Fortbildungskongresse, 12/2004, S. 10 ff.
Das Dokument steht nicht im Netz; ich stelle es aber gerne zur Verfügung.
Operativ:
Hier werden vorhautERHALTENDE Operationsmethoden favorisiert im Interesse des KINDES! Bei der sog. Triple Inzision etwa erfolgen dabei drei kleine Einschnitte (< 1 cm) in die Oberseite der Vorhaut. Sodann wird die Vorhaut unter der OP über die Eichel gezogen und dadurch geweitet (das lässt sich mit einem zusammengerollten Stück Papier hervorragend demonstrieren oder man denke an einen Ärmel, den man mit kleinen Längseinschnitten versieht und dann die Faust durchschiebt) Im Zustand der weitesten Dehnung werden diese Schnitte durch ein spezielles Verfahren vernäht die Vorhaut bleibt weit und komplett erhalten. Die OP ist weniger belastend als eine Beschneidung, weniger risikobehaftet, nicht teurer und sie erhält alles, was zum (künftigen) Mann dazu gehört.
http://www.kup.at/kup/pdf/7448.pdf
Teilbeschneidung:
Diese OP wird Eltern oft als vorhauterhaltend untergejubelt. Das ist sie aber nicht, denn es wird ja Gewebe entfernt. Bei einer vorhauterhaltenden OP wird GAR KEIN Gewebe entfernt. Eine Teilbeschneidung ist zudem risikobehaftet, weil eine Wunde entsteht, die rund um den Penis verläuft. Vernarbt diese, kann sich die Restvorhaut wieder zusammenziehen, was eine weitere OP nötig machen würde. Teilbeschneidung ist also eher keine Alternative.
ZUSAMMENFASSUNG (laienverständlich):
Lichtenheldt, Mario, un-heil, Vorhaut, Phimose & Beschneidung, Zeitgemäße Antworten für Jungen, Eltern und Multiplikatoren, Verlag Tredition, Hamburg,
ISBN 978-3-8424-9540-1
Das war sicher viel, aber angesichts des vielen Unfugs, der zu diesem Thema im Umlauf ist, vielleicht auch mal ganz nützlich. Im vorliegenden Fall scheint es mir zu sein, wie in vielen ähnlichen Fällen auch: Die ERWACHSENEN haben ein Problem mit dem Penis des Jungen der Junge selbst dagegen nicht.
LG Markus