(Eine schöne, nicht ernstzunehmende Story zum Schmunzeln)
Das Mutti
Fee Zschocke, Mutter eines zweijährigen Sohnes, beschreibt die merkwürdigen Verwandllungen einer Frau in ein Wesen, das noch nicht im Lexikon steht.
Meine geheimnisvolle Verwandlung vollzog sich an einem ganz normalen Montag, nachmittags 17.45 Uhr MEZ, von einer Minute auf die andere. Aus der Spezie "Frau"
(weiblich; besondere Kennzeichen: leichtsinnig, fröhlich bis albern, sinnlich, kapriziös, attraktiv, witzig, mit einem Hang zum Luxus und zum schönen Phlegma) wurde urplötzlich die Gattung "das Mutti" (besondere Kennzeichen: bieder, belastbar, besorgt, ernsthaft, genügsam, nervös, 24 Stunden voll im Einsatz).
Das Mutti ist streng geschlechtsneutral und kommt überall auf der Welt vor, gehäuft auf Kinderspielplätzen. Zu erkennen ist das Mutti an seiner bellenden oder schrillen Tonlage "Stefan! Sofort runter da, sonst setzt es was!!"; und an einem rastlosen Betätigungsdrang (bevorzugte Tätigkeiten: stricken, Rotznasen abwischen, backebacke-
Kuchen- machen, Mützen ab- und aufsetzen, Apfelsinen schälen, Küsschen verteilen). Sitzt das Mutti wider Erwarten mal ganz ruhig da, ist zumindest der Fuß in
Bewegung: der schaukelt den Kinderwagen.
Das Mutti tritt niemals allein auf, sondern ist stets rudelweise von seinen Jungen umgeben. Sind diese noch klein, trägt das Mutti sie in einer textilen, Ausbuchtung vor
Bauch und Rücken geschnallt (ähnlich einem australischen Känguru, jedoch bewegt sich das Mutti nur selten hüpfend vorwärts). Wenn die Jungen größer sind und aufrecht gehen können, übt es geduldig die Tätigkeit des "Spazierenstehens" aus. Während das
Mutti-Junge sich im Matsch suhlt, jedes Steinchen auf seine Verwendbarkeit untersucht, Grashalme frisst oder tiefsinnig sein Spiegelbild in Pfützen betrachtet, bleibt das Mutti einfach stehen. So verbringt es einen Großteil seiner Zeit, in Kälte und Nässe ausharrend, stumm und schicksalergeben.
Mutti ist Frau nicht von Geburt an, zum Mutti wird sie gemacht. Viele Frauen bezeichnen diesen Hergang als äußerst lustvoll, wahrscheinlich gibt es deshalb so viele Muttis auf der Welt. Die wenigsten machen sich klar, was die Mutti-Metamorphose bedeutet. Auf jeden Fall ist es ein irreversibler Prozess: einmal Mutti- immer Mutti. Was sich auch darin ausdrückt, daß manche "Vatis" (m. besondere Kennzeichen: oft aushäusig, meist paschamäßig auf Draht und windelmäßig unerfahren, auch - oder gerade nach der
Geburt der Jungen unentwegt um die begehrenswerte Spezies "Frau" herumbalzend) es fortan neutral "Mutti" nennen.
Für die Aufzucht (siehe auch Sozialisation") sind oft Muttis allein zuständig - eine Aufgabe, in der Mutti für den Rest des Lebens aufzugehen haben. Durchdrungen von
der existentiellen Wichtigkeit des Brutpflegetriebs werden Muttis durch ständige Adrenalinausschüttung offensichtlich jahrelang zu Höchstleistungen angetrieben.
Einem Mutti - und darin erweist sich die ausgesprochene Widerstandsfähigkeit dieser äußerlich schutzbedürftigen, innerlich aber erstaunlich zähen Gattung - macht es nichts
aus, drei- bis viermal pro Nacht das warme Nest zu verlassen, um die brüllenden Jungen mit Nahrung zu versorgen. Ein Mutti ödet es nicht an, täglich den immergleichen Brei zu bereiten und den immergleichen Spielplatz mit den immergleichen Muttis aufzusuchen um dort die immergleichen Gespräche zu führen.
Wer sich als Artfremder mit uns Muttis unterhalten will, fühlt sich binnen kurzem außen vor. Haben wir Muttis doch eine Art Geheim-Code entwickelt, mit dem wir uns mühelos
untereinander verständigen: da wimmelt es plötzlich von Worten wie Strampelpeterfixies, Paidi oder Peaudoux, es gibt Duplo's, den Schnulli und die Tut-tut Bahn; da schwirren so exotische Begriffe durch die Luft wie "Phimose", "Urvertrauen",
"rechtsdrehender Joghurt oder "Drei -Monats-Koliken". . .
Kurz: Besonders Jung-Muttis, die sich in ihrem früheren Dasein als Frau profiliert haben, indem sie ihr Abi mit "eins" und ihr Examen mit "cum laude" gemacht haben,
machen in der Regel eine seltsame intellektuelle Regression durch. Wie alle Muttis dieser Welt verfallen sie in eine Art frühkindlicher Stammel-Sprache, deren
Hauptbestandteil das Diminutiv ist. ("Will Dodolein jetzt Heia-Heia machen?)
Die Mutti-Metamorphose ist in allen Bereichen des täglichen Lebens spürbar. Statt "Liebe in den Zeiten der Cholera" liest das Mutti jetzt "Die Häschenschule, statt
raffiniertem Kaninchen in Senf-Sauce" bereitet es gesunden salzlosen Blumenkohl, statt zu "Cabaret" geht es ins Kindertheater zu "Peterchens Mondfahrt". Und beim Shopping halten wir Muttis nicht etwa nach einem getupften Ballon-Rock für uns, sondern nach einer strapazierfähigen Latzhose für das Jüngste Ausschau, genügsam wie wir nun mal sind.
Am verblüffendsten aber ist die optische Verwandlung des Muttis. Knallenge Diesel- Jeans, spitzenbesetzte BHs unter schimmernden Seidenblusen, verführerischen
Stöckel oder ausgeflippte 50er-Jahre-Klamotten - alles passé. Das Mutti, ewig mit Brei bekleckert und ewig in Zeitnot hat sein farbenfrohes Kleid abgelegt, mit dem es einst Vati zur Balz aufforderte. Bequeme Jeans, Turnschuhe, ein weites Sweatshirt - so etwa sieht der Einheitslook des mitteleuropäischen Mutti-Tier's aus. Verhaltensforscher sprechen inzwischen von einem deutlich ausgeprägten "Mimikry-Effekt": Je grauer und
eintöniger der Alltag des Muttis zwischen Küche-Kacke-Kindergarten ist, desto grauer und einfallsloser kleidet es sich.
Und Vati? Vati, der all das gewollt und verursacht hat? Vati schmollt! Er fühlt sich, zumindest im ersten Jahr, um all das betrogen, was ihm bis dahin lieb und teuer war:
seine ungestörte Nachtruhe. Sein geregeltes Leben. Seine spontanen, ausgedehnten Kneipentouren. Seine saubere, untadelig aufgeräumte Wohnung. Seine stets perfekt
angezogene Vorzeige-Frau. Seine Vorrangstellung im Herzen derselben.
Stattdessen sitzt er da mit diesem völlig fremden Wesen, dem Mutti, und leidet unter dem so genannten "Baby-Schock". Symptome: nächtliche Schweißausbrüche bei der
ersten lautstarken Unmutsäußerung des Babys, ein heftiges lang anhaltendes Gefühl der Unzulänglichkeit dem Mutti gegenüber ("Was zum Teufel ist teiladaptierte Milch?) und des Ausgeliefertseins, das oft klaustrophobische Züge annimmt. (Hier komm' ich nie
mehr raus, das geht jetzt zwanzig Jahre lang so weiter. . ."), Nie gekannte seelische Wechselbäder von unbändigem Stolz wechseln mit ohnmächtige Wut.
Unter dieser Schockeinwirkung - also im Stadium der Unzurechnungsfähigkeit - erliegen mache Väter gern der Versuchung deren Name "Weib" ist, und trennen sich vom Mutti.
Doch es nützt alles nichts. An einem x-beliebigen Mittwoch um 13.34. Uhr ist es mal wieder so weit: ein zarter Schrei - und aus einer "Frau" wird ein "Mutti!
Gefunden in der Zeitschrift "Brigitte", Heft 3/88