Ausnahmen bestätigen die Regel ;-)
Liebe Caroe,
grundsätzlich ist Ehrlichkeit ein hohes Gut und auch erstrebenswert. Allerdings kann sie auch verletztend sein - und dann sollte damit sensibel umgegangen werden.
Was ich damit meine ? Man kann "brutal" ehrlich sein, aber auch "diplomatisch" ehrlich.
Wenn Tante Hilde, 80 Jahre alt, zum Geburtstag mit einem selbtgehäkelten Deckchen als Geschenk anrückt, das ich einfach nur schrecklich finde und das so gar nicht zu unserer Einrichtung passt ... würde ich eben NICHT sagen "oh je - wie hässlich ist das denn ??!!" Was würde diese Ehrlichkeit bewirken ?? Doch nur, dass die Schenkende sich mies fühlt. Da hat sie sich Arbeit gemacht und hat was verschenkt, was sie schön findet. Und dann kommt der niederschmetternde Satz "... wie hässlich!". Mir schadet es nicht, wenn ich Freude zeige und ihr tut es gut. Und ich würde mich wirklich freuen - zwar nicht über das Häkeldeckchen, aber über die Mühe, den Aufwand und die Zeit, die für mich investiert wurde.
Wenn ich mit meiner Freundin shoppen gehe und sie eine Hose anprobiert, in der sie einfach dick aussieht und ich weiß, dass sie in letzter Zeit zugenommen hat und sich damit unwohl fühlt, dann werde ich auch nicht sagen "darin siehst du fett aus !". Da würde ich mich vermutlich eher darauf konzentrieren, dass mir Farbe/Stoff/Schnitt/Verarbeitung nicht so gut gefallen. Der Schnitt ist eben unvorteilhaft .... nicht die Figur ;-)
Kurzum: bei "Kleinigkeiten", die keine elementare Bedeutung haben, bin ich gerne diplomatisch. Ich empfinde das auch als eine Sache von Respekt. Ich gaukle nichts vor und lüge niemanden an. Aber ich bin eben auch nicht "brutal" ehrlich.
Anders sieht das natürlich bei Situationen aus, die elementar sind. Die mein Gegenüber und mich zusammen betreffen. Oder nur mein Gegenüber. Beziehung. Freundschaft.Grundsätzliches Verhalten. Probleme.
Da muss man ehrlich sein. Und auch mal Tacheles reden, auch wenn das schmerzhaft sein kann. Eben auch hier eine Sache von Respekt.
Allerdings ist natürlich die Frage, ob diese Ehrlichkeit spontan und ad hoc sein muss.
Oftmals ist es besser, den geeigneten Augenblick abzuwarten. Es ist wenig produktiv, wenn ich mein Gegenüber mit einer harten und verletzenden Ehrlichkeit konfrontiere, wenn der-/diejenige in diesem Moment einfach labil, gedanklich anderweitig beschäftigt oder sonstwie nicht "da" ist. Manchmal ist es ja auch so, dass man selbst getresst, genervt, müde oder ausgebrannt ist, und das Verhalten des Gegenübers in diesem Moment eben das Fass zum Überlaufen zu bringen scheint.
Da muss man dann doch auch mal zu sich selbst (!!) ehrlich sein: bin ich gerade fair ? Oder ist mein Empfinden durch irgendwelche Umstände beeinflusst ??
Das wird nämlich oftmals vergessen. Vor lauter "Ehrlichkeit" anderen gegenüber, vergisst man manchmal, sich selbst gegenüber ehrlich zu sein: das eigene Verhalten zu hinterfragen und dabei eben auch kritisch zu sich selbst zu sein. Da hört dann nämlich bei vielen der Hang zur "Ehrlichkeit" plötzlich auf ....
Liebe Grüße,
Friederike