Unterschiedliche Baustellen:
Mir sind nach Lesen deines Textes im Wesentlichen zwei Dinge aufgefallen, die du vielleicht seperat voneinander betrachten solltest:
Erstens: Die Gefühle für deinen Mann.
Wenn du bereits seit über einem Jahr das Gefühl hast, dass sich eure Beziehung in die falsche Richtung entwickelt, vielleicht ja anfangs auch nur unbewusst wahrgenommen, hilft tatsächlich nur darüber zu reden. Bei der Kommunikation mit dem Partner ist es wichtig dem Partner nicht nur in Streitsituationen die Möglichkeit zum Reagieren zu bieten, sondern auch im "normalen" Gespräch. Das bedeutet aber widerum auch, dass man sich (und das in allen Beziehungen des Lebens) immer wieder aktiv mit sich selbst auseinander setzen muss und Ereigisse und Emotionen für sich reflektieren muss.
Im Idealfall kann das so aussehen, dass man sich nach einem Streit fragt, was denn der eigentliche Auslöser war. Nicht die Kleinigkeit, die das sog. Faß zum Überlaufen gebracht hat, die die Eskalation verurusacht hat, sondern vielleicht der Grundkonflikt. In deinem Fall die Veränderung deines Partners, einhergehend mit der Veränderung deiner Gefühle für ihn.
Jetzt tritt der Idealfall nur selten ein. Aus ganz unterschiedlichen Gründen. Wichtig ist trotzdem sich damit auseinanderzusetzen, dass man durch diese "Verdrängung" die Situation genauso mitverschuldet, wie ein Partner, der "nicht an sich arbeitet" oder vergisst. Klassischerweise würde man im Falle des auseinanderlebens dazu raten es mit einer Paartherapie zu versuchen. Manchmal hat man einfach verlernt (oder es nie gelernt) als Paar zu kommunizieren. Das ist nicht ungewöhnlich, aber für den Fall, dass man sich gegenseitig wichtig ist und sich respektiert, kann man daran arbeiten. Aus deinem Text schließe ich aber, dass der Zug dafür längst abgefahren ist. Du hast nicht nur deine Gefühle verloren, sondern gewissermaßen auch den Respekt (deine Wertschätzung für ihn). Vielleicht ist an dieser Stelle Distanz tatsächlich sinnvoll.
Natürlich habe ich das alles nun sehr neutral formuliert. Ich habe mich tatsächlich von meinem Mann aus einem sehr ähnlichen Grund getrennt: Ich habe ihn nicht mehr geliebt. Die Vorausetzung waren andere und auch der Umgang miteinander ist anders, als ich das aus deinem Text herauslese, aber letztlich: Der entscheidene Faktor ist identisch. Fehlende Liebe. Und ich habe mich damals mit sehr großer Überzeugung getrennt. Und es seit dem nicht bereut.
Ich möchte aber betonen, dass es wichtig ist für ihn als Mensch und Mann offen zu bleiben. Im Moment scheint viel deines Fokus darauf ausgerichtet zu sein, was er NICHT hat, oder wie er NICHT ist - und das in Diskrepanz zu dem, was du eigentlich willst. Dabei kann Distanz durchaus helfen, diese, ich nenn sie jetzt mal Scheuklappen wieder abzunehmen und ihn wieder als Ganzes wahrzunehmen. Räume ihm und dir in Anbetracht eurer gemeinsamen Vergangenheit diese Möglichkeit ein. Vielleicht nicht jetzt sofort, aber grundsätzlich.
Zweitens: Deine "Gefühle" für andere Männer.
Ich habe das jetzt bewusst in Anführungszeichen gesetzt. Weil ich damit die unterschiedliche Tiefe an Gefühl ausdrücken möchte, wenn ich schon dasselbe Wort im Bezug auf deinen Mann und andere Männer gleichzeitig benutze. Hier geht es sicherlich nicht um Liebe, mehr um ein gewisses Begehren.
Warum ich diesen Punkt seperat behandle, und nicht oben mit einfasse ist folgender: Dein Mann, sagst du, war reizvoll für dich, weil du in gewisser Weise zu ihm aufgeschaut hast. Jetzt hast du dich weiterentwickelt und es reizen dich widerum Männer, zu denen du in anderer Hinsicht, aber nichts desto trotz, aufschaust. Schwierig wird es dann, wenn der Teil, der dir jetzt an diesen Männern gefällt, dann auch wieder "nicht reicht". Vielleicht ist es also ein ganz anderes Defizit, was da "befriedigt" werden will, was nur auf andere projeziert wird. Ja, das ist ein "lucky guess". Ich bin keine Psychologin, aber ich finde es wäre erstrebenswert erst herauszufinden, was du eigentlich genau willst. Jetzt UND später. Nicht nur für den Moment. Und natürlich entwickelt man sich permanent weiter, sodass man keinen festen Plan für die nächsten 50 Jahre erstellen kann. Aber vielleicht eine grobe Richtung.
Verstehst du, was ich meine?
Wenn es dir jetzt um den scheinbar gleichberechtigten Austausch, um Begehren geht, um geteilte Leidenschaften und Interesse, um Attraktivität...dann ist das vielleicht temporär, weil es dein aktuell so betont wahrgenommenes Defizit ist. Und in ein, zwei Jahren stellt sich heraus, dass du diese o.g. Dige zwar alle haben kannst, die aber die Tiefe und die Verbundenheit fehlen, die du vorher hattest. Eben weil sie dann nicht mehr da sind und dann viel stärker als "fehlend" empfunden werden...
Fazit: Ich persönlich glaube, dass dir der Abstand vielleicht gut tun würde. Wichtig ist das ganze offen zu bereden. Bleibe fair, versuche auch deine Defizite zu sehen. Vielleicht gibt es ja Dinge, die du in deiner Veränderung nicht wahrgenommen hast, die aus seiner Sicht genauso belastend für die Beziehung waren? Werde dir der Bedürfnisse bewusst, die hinter deinem Handeln stehen.
Attraktivität in gewissem Maße ist wichtig für die Beziehung. Frage ihn, ob er nicht Dinge vermisst... Versuche die Situation auch immer wieder aus seiner Sicht zu sehen.
Eure Verwandtschaft muss an dieser Stelle ersteinaml außen vor bleiben. Und auch für euren gemeinsamen Sohn lassen sich Regelungen finden. Kümmert euch zunächst um eure Zukunft als Paar (oder eben als Nicht-Paar, dann aber als Eltern).
Alles Gute, D.